Skatfuchs hat natürlich Recht. Es ist nahezu unmöglich, zuverlässige Prozentzahlen für diese Frage anzugeben. Und selbst wenn nützen sie nichts, weil es kein geeignetes Verfahren gibt, das eigenen Blatt auf das Prozent genau einzuschätzen.
Dennoch fand ich die Frage spannend und habe mir ein Modell gebastelt, in dem ich sie lösen kann. Das Modell beruht auf Vereinfachungen, unbewiesenen Thesen und ins Blaue hinein geratenen Wahrscheinlichkeiten. Wer sich davon abschrecken lässt, soll einfach nicht weiter lesen. Die beiden anderen
werden vielleicht die folgenden Ideen interessant finden.
Mein Modell besteht im wesentlichen in einer Funktion, die in Abhängigkeit von einer vorgegebenen Mindest-Gewinn-Wahrscheinlichkeit p angibt, wie hoch die Chance ist, ein Blatt zu bekommen, welches diese oder eine höhere Gewinn-WSK hat und damit auch das Reizen zu gewinnen. Diese Funktion nenne ich q(p).
Für diese Funktion habe ich mir ein paar Eckpunkte gesucht, die ich aus meiner Skaterfahrung abgeschätzt habe. Diese sind:
- q(100%) = 5%. Ich behaupte also, dass ich in jedem 20. Spiel nach dem Reizen (aber in Unkenntnis des Skats) in der Lage bin, ein 100% sicheres Spiel durchzuführen. Vielleicht ist der Wert etwas hoch gegriffen, aber darauf soll es nicht ankommen.
- q(67%) = 32%. Begründung: Wenn jeder am Tisch normal reizt, sollten einerseits nur Spiele gereizt werden, die eine Gewinn-Chance von 67% haben und andererseits jeder gleich viele Spiele bekommen. D.h. wenn man nur die 67%-Spiele reizt, dann bekommt man ungefähr 1/3 aller Spiele. Da ich noch einen Schnaps für die eingepassten abgezogen habe, komme ich auf die angegebenen 32%.
- q(0%) = 100%. Wenn ich jedes Spiel haben will, egal ob es überhaupt theoretisch gewinnbar ist, dann reize ich bis 264 und bekomme alle Spiele.
Dann habe ich mir eine einfach beherrschbare Funktion gebaut, die zwischen diesen Werten interpoliert. Somit "weiß" ich für jede Gewinn-WSK, wie hoch die Chance ist, dass ich ein solches (oder besseres) Spiel auch tatsächlich bekomme. Ich will die genaue Formel hier nicht posten, weil sie vom Thema ablenkt und eh nur aus der Luft gegriffen ist.
Mit etwas Integralrechnung kann man aus der Funktion q(p) eine weitere Funktion w(p) ableiten, die angibt, wie groß der Anteil der gewonnenen Spiele tatsächlich ist, wenn man sich p als Mindest-Gewinn-WSK vorgibt. Denn klar ist: Wenn ich z.B. ab 67% reize, dann gewinne ich mehr als 67% der Spiele, die ich bekomme. Denn es sind ja auch Spiele dabei, die von Haus aus eine größere Gewinn-WSK haben, bis hin zum 100%-Spiel.
Zur Kontrolle ein paar Werte, die aus meiner Sicht ganz sinnvoll aussehen:
p=0% --> q(p)=100%, w(p)=49%. Interpretation: Wenn ich so lange reize, bis ich das Spiel habe, bekomme ich zwar alle Spiele, werde aber nur die Hälfte gewinnen. Ist vielleicht etwas zu hoch, aber egal.
p=50% --> q(p)=48%, w(p)=36%. Wenn ich ab einer Gewinn-WSK von 50% reize, bekomme ich knapp die Hälfte aller Spiele und gewinne 3/4 von denen. Auf einer 36er Serie werde ich dann im Schnitt 13:4 spielen.
p=67% --> q(p)=32%, w(p)=27%. Wenn ich "vernünftig" reizen, spiele ich eine 36er Serie im Schnitt 9,7:1,7.
p=90% --> q(p)=11,7%, w(p)=11,4%. Bei dieser Reizschwelle würde ich auf die 36er Serie im Schnitt 4,1:0,1 spielen.
Nun genug der Vorrede, wie kann man damit die Frage beantworten?
Wir müssen rückwärts vorgehen. Wenn nur noch ein Spiel zu absolvieren ist, dann habe ich zwei Möglichkeiten: Ich nehme das Spiel und hoffe zu gewinnen oder lasse es weg und hoffe, der Gegner verliert. Was ist erfolgversprechender?
Wenn ich davon ausgehe, dass die Gegner vernünftig reizen (also p=67% als Strategie haben), dann werden sie mit einer WSK von 5%/32% = 15% ihr Spiel verlieren. Wenn ich also dem Gegner das Spiel überlasse, dann kann ich mein Ziel nur mit einer Chance von 15% erreichen. Sobald mein eigenes Spiel eine bessere Erfolgsaussicht hat, sollte ich reizen. Für Spiel 36 gilt also in diesem Szenario: Reizschwelle 15% - volle Attacke!
Es gibt dann vier mögliche Ausgänge von Spiel 36:
1. Ich spiele und gewinne. Die Chance dafür ist gemäß meinem Modell w(15%) = 48,0%
2. Ich spiele und verliere. Pech gehabt. Das passiert mit q(15%)-w(15%) = 35,8%
In den übrigen 16,2% der Fälle muss ich das Spiel weglassen, weil ich weniger als 15% Erfolgsaussicht sehe. Dann passiert folgendes.
3. Der Gegner spielt und verliert. Die Chance dafür ist 16,2%*15% = 2,4%
4. Der Gegner spielt und gewinnt. Pech gehabt.
Insgesamt ist also mit dieser Strategie meine Chance, doch noch Platz 1 zu schaffen, immerhin 48,0%+2,4%=50,4%.
Schauen wir uns nun Spiel 35 an. Wenn ich das Spiel weglasse, gibt es zwei Möglichkeiten:
1. Der Gegner spielt und verliert. Die Chance dafür ist 15%.
2. Der Gegner spielt und gewinnt. Das passiert in 85% der Fälle. Dann hoffe ich auf Spiel 36, welches nach obiger Rechnung mir noch eine Erfolgsaussicht von 50,4% bietet.
Insgesamt habe ich bei Passen in Spiel 35 also eine Erfolgsaussicht von 15%+85%*50,4% = 57,8%. Das ist meine Reizschwelle für Spiel 35! Für die Gesamt-Chance muss ich wieder die 4 Fälle durchgehen.
1. ich gewinne: w(57,8%) = 32,2%
2. ich verliere: q(57,8%)-w(57,8%) = 7,9%
Insgesamt mache ich Spiel 35 mit WSK 40,1% selbst. Die übrigen 59,9% verteilen sich wie folgt:
3. Gegner verliert: 15%*59,9% = 9,0%
4. Gegner gewinnt: 85%*59,9% = 50,9%
In Fall 1 und 3 war meine Strategie sofort erfolgreich, das sind 41,2%. In Fall 2 habe ich sofort verloren (wegen der Nebenbedingung, dass ich auf keinen Fall ein Spiel verlieren will). In Fall 4 kann ich auf Spiel 36 hoffen und habe in diesem Fall also eine Erfolgsaussicht von 50,9%*50,4% = 25,7%. Damit komme ich vor Spiel 35 auf eine Rest-Chance von 66,9%!
So kann ich weitermachen, ich erspare euch die Details und gebe nur die Tabelle für die Reizschwellen an:
Spiel 36 - 15,0%
Spiel 35 - 57,8%
Spiel 34 - 71,8%
Spiel 33 - 79,7%
Spiel 32 - 84,8%
Spiel 31 - 88,4%
Spiel 30 - 91,0%
Wenn ich diese Strategie so durchhalte (und nach einem gewonnenen Spiel nur noch die 100%igen nehme), dann habe ich insgesamt eine Chance auf Platz 1 von 91,7%.
Wie gesagt, die Zahlen sind alles andere als zuverlässig, sondern basieren auf meinem Modell, für dass es außer den drei genannten Stütz-Stellen keinerlei handfeste Begründungen gibt. Aber ich hoffe ich konnte damit illustrieren, wie man solche Aufgaben "im Prinzip" löst.